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Blick von außen. Bildanalyse

Blick von außen

Die bäuerliche Welt im Bild – eine Bildanalyse

Getreideernte auf einem Bergbauernhof in Prags, Pustertal, um 1948 Fotograf: unbekannt, Privatbesitz, (c) Anton Holzer, Verwendung mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber
Ein Foto aus dem Album meiner Familie.
Zu sehen ist eine Frau bei der Feldarbeit. Sie steht auf einem Bein, den Oberkörper nach vorne gebeugt, das zweite Bein balancierend nach hinten gestreckt. Kariertes Kleid, Schürze, auf dem Kopf einen Hut, das Gesicht verschattet. Das ist meine Tante, geboren 1921, vor Kurzem ist sie verstorben.
In der Hand hält sie eine Sichel. Sie ist dabei, das eben gemähte Getreide, das am Boden liegt, zu Garben zusammenzufassen und zu binden. Später dann werden diese Garben zum Trocken aufgehängt werden. Und noch später im Jahr, wenn auf den Feldern die Arbeit getan ist, werden diese Bündel in die Scheune gebracht, gedroschen und das gewonnene Korn in Säcke abgefüllt. Der Bauernhof, auf dem meine Tante zusammen mit ihrem Bruder und dessen Familie lebte, liegt weit oben am Berg, auf 1.400 Meter Höhe, ein Südtiroler Bergbauernhof im oberen Pustertal. Als dieses Foto um das Jahr 1948 entstand, war meine Tante etwa 25 Jahre alt.
Aufnahme im Atelier Klose, Innichen, um 1948 Fotograf: Oskar Klose, Privatbesitz, (c) Anton Holzer, Verwendung mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber
Was kann uns so ein Foto aus einem privaten Album zeigen?
Es gehört natürlich in den familiären und biografischen Kontext. Es erzählt ein Stück Familiengeschichte. Aber das Bild weist auch darüber hinaus.
Es ist beispielsweise auch ein sozial- und wirtschaftsgeschichtliches Dokument. Auf 1.400 Meter Höhe wird heute kein Getreide mehr angebaut. Und es ist ein interessantes Beispiel für die fotografische Darstellung der bäuerlichen Welt. Auf dem Hof meiner Großeltern gab es keinen Fotoapparat. Dasselbe gilt für die meisten Südtiroler Bauernhöfe bis weit in die 1960er- und 1970er-Jahre hinein. Wenn man am Hof – was selten vorkam – ein Atelierbild brauchte, radelte man 20 Kilometer weit: etwa nach Innichen, um im Atelier Klose eine Aufnahme machen zu lassen.
Wer hat das Foto meiner Tante bei der Feldarbeit dann aufgenommen?
Ein Sommerfrischler, der immer wieder hinauf zum hoch gelegenen Hof wanderte. Niemand aus der Familie wäre auf die Idee gekommen, die Arbeit zu unterbrechen, um Szenen der Arbeit in fotografischen Bildern festzuhalten.

Wichtiger Aspekt der Tiroler und Südtiroler Fotogeschichte

Mit diesem Beispiel will ich auf einen eminent wichtigen Aspekt der Tiroler und Südtiroler Fotografiegeschichte hinweisen:
Bis in die 1960er-Jahre gab es in Südtirol (ähnlich wie in großen Teilen Nord- und Osttirols) verhältnismäßig wenige fotografische Bilder des bäuerlichen Lebens und Arbeitens. Eben weil die Bauern selbst nicht fotografierten. Und wenn es die Bilder gab, dann stammte ein Gutteil dieser Aufnahmen von Außenstehenden, etwa von „Fremden“ oder „Sommerfrischlern“, wie die Touristen lange Zeit genannt wurden, oder von Städtern. Nicht selten wurden diese Bilder von außen zu eigenen Bildern.
Meine Tante bei der Ernte findet sich seit Jahrzehnten im Familienfotoalbum, das Bild wurde eingemeindet. Das Album trägt den Titel „Meine Heimat“.
 
 

 
Aufgabe: Bildanalyse

ca. 15 min.

Versuchen Sie es selbst. Nehmen Sie eine historische Fotoaufnahme und machen Sie eine Bildanalyse.
Auf der Plattform Lichtbild – http://www.lichtbild-argentovivo.eu/de/bilddatenbank/fotobestaende.html – finden Sie eine Vielzahl historischer Fotografien, die im Rahmen des Interreg-Projekts erschlossen werden. Diese Bilder stehen unter CC-BY-Lizenz und in hoher Auflösung zur freien Verfügung.
Beim Verständnis einer historischen Fotografie können Ihnen die „Fragen an das Foto“ zur Orientierung dienen.
 
 
Die Texte des E-Learning-Kurses basieren auf den Beiträgen der Autoren und Autorinnen in den jeweiligen Handreichungen (erschienen auf https://www.lichtbild-argentovivo.eu, erschienen unter der Lizenz CC BY 4.0). Die Texte der Handreichungen wurden vom Team Lichtbild für die jeweiligen E-Learning-Kapitel adaptiert.